Thesen zum Städtebau


Die nachfolgenden Thesen zur zeitgenössischen Stadt wurden von mir für die Prüfung im Fach Städtebau I am Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen aufgestellt. Da ich bei der Vorbereitung keine Thesen anderer Studenten zu diesem Thema gefunden habe, habe ich mich entschlossen, hiermit meine Thesen als Orientierungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen.


0. Einleitung

Mobilität und Konsum lautet das übergeordnete Thema für meine Thesen über die zeitgenössische Stadt. Dabei geht es mir darum, die Entwicklung der Mobilität und deren Verknüpfung mit der des Konsums seit dem Mittelalter aufzuzeigen, sowie auf daraus resultierende Veränderungen und Probleme unserer Städte einzugehen.


1. These:

Mobilität und Konsum waren und sind der Motor einer Stadtentwicklung, die in mittelalterlichen Stadt ihren Ausgangspunkt hatte und die bis heute andauert.


Erste Beobachtungen zum Thema Mobilität lassen sich schon in der Frühzeit machen, als die Erfindung des Rades, vermutlich um 3000 v. Chr., zu den ersten pferde- und ochsenbespannten Wagen führte. Die neue Entwicklung hatte tiefgreifende Bedeutung für die Bewohner der damaligen Siedlungen. Vor der Erfindung des Rades konnte der Mensch als Transportmittel nur seine eigenen Beine oder geeignete Tiere verwenden und damit nur vergleichsweise geringe Mengen und Lasten transportieren. Die neuen Verkehrsmittel änderten das und führten zu einem steigendem Transportaufkommen und damit zu Veränderungen im Stadtgrundriss der antiken Städte, durch das nun benötigte Hauptstraßennetz aus breiteren Straßen, die die Fuhrwerke aufnehmen konnten.


abb1

Der durch den Einsatz von Transportmitteln sich verstärkende Handel zwischen Dörfern und kleinen Siedlungen mit den Städten findet seinen Niederschlag in den Anlagen von Markplätzen. Diese bilden bereits in den Siedlungen der Römer einen zentralen Ort in der Stadt am Schnittpunkt der Hauptverkehrsstraßen. Auch in der mittelalterlichen Stadt bildet der Marktplatz quer durch die verschiedenen Stadtgrundrisstypen ein Zentrum und damit einen beherrschenden Mittelpunkt innerhalb der Stadt, auf dem von der Landbevölkerung Waren angeboten und verkauft wurden.


Die Marktplätze der Städte waren außerdem Ausgangspunkt für ein weitmaschiges Netz von Handelswegen zwischen den Städten und ein Kriterium für neue Stadtstandorte wurden hauptsächlich von den Bedürfnissen des Handels und des Verkehrs bestimmt, indem die Gründung von neuen Städten meist an vielbefahrenen Handelsrouten stattfand.


Die industrielle Revolution mit dem nachfolgenden wirtschaftlichen Aufschwung führte durch neue Produktionsmethoden und damit im Vergleich zu ihren Vorläufern, den Manufakturen, zu günstigeren Preisen für die hergestellten Produkte. Durch die geringeren Preise konnten sich breitere Bevölkerungsschichten bestimmte Produkte leisten, was zu einem gesteigertem Konsum führte. Die Erfindung der Dampfeisenbahn führte kurz darauf durch die höheren Geschwindigkeiten, geringere Transportpreise und ein anwachsendes Streckennetz zu einer weiter gesteigerten Mobilität der Menschen. Bedingt durch die steigende Mobilität in Zusammenhang mit den neuen Industrieansiedlungen wuchsen die Städte in ihrer Fläche sprunghaft an.


abb2_1

Bis zur Entwicklung und Verbreitung des Automobils führte die Beschränkung der Mobilität der Bevölkerung auf die Eisenbahn zu einer Stadtentwicklung mit Entwicklungsschwerpunkten an den Haltepunkten zu einer linearen Entwicklung der Städte. Der Beginn der Massenproduktion des Autos nach der Einführung des Fließbands durch Henry Ford, und die sprunghaft anwachsende Produktion nach dem 2. Weltkrieg machte dieses Fortbewegungsmittel zusammen mit dem Wirtschaftsboom nach dem Krieg für die breite Masse zugänglich und führt damit zu einer bis dahin nicht gekannten individuellen Mobilität. Diese Mobilität ermöglicht erst die flächenhafte Besiedlung der Landschaft und neue Möglichkeiten des Konsums. Die Konsummöglichkeiten werden durch die ständige Verfügbarkeit des PKW zeitlich und örtlich immer individueller, dies manifestiert sich in steigenden Anzahl von Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten in der Stadtregion.


abb3_1 abb3_2 abb3_3 abb3_4

2. These:

Neue Anziehungspunkte in der Stadtregion können erst durch die Weiterentwicklung der Mobilität hin zur massenhaften Verfügbarkeit des Autos als günstiges Transportmittel für große Teile der Bevölkerung entstehen.


Die neue Anziehungspunkte für die Bevölkerung, oder bei größerer Ansammlung neuen Zentren, können sowohl von ihrer Art, als auch ihrer Nutzung her sehr unterschiedlich aussehen. Die Palette reicht von einzelnen Einkaufsmärkten am Rand von Städten und Gemeinden über Großmärkte, große Fachhandelsmärkte und Malls bis hin zu Freizeiteinrichtungen, wie beispielsweise Multiplexkinos. Gerade die beiden letztgenannten Konsumformen erfreuen sich wachsender Beliebtheit bei der Bevölkerung, wobei Malls nach dem amerikanischen Prinzip eher die Ausnahme darstellen, von dem Centro in Oberhausen, beziehungsweise einigen Malls in den neuen Bundesländern einmal abgesehen.


Diese neuen Anziehungspunkte gewinnen hauptsächlich durch ihre einfache Erreichbarkeit mit dem Auto und damit durch ihre Standortvorteile an Bedeutung. Neuen Einkaufsmärkte oder Freizeiteinrichtungen liegen verkehrsgünstig an Knotenpunkten von Autobahnen, oder Bundesstraßen, um eine schnelle, einfache Erschließung für einen großen Bevölkerungsanteil sicherzustellen, zu sehen zum Beispiel an dem Standort von Wal - Mart in Karlsruhe, direkt an der Autobahnabfahrt und der B 10, oder am Beispiel der von Media Markt und Metro, die schnell zu erreichen an der Südtangente liegen.


Die Lage an den Randgebieten der alten Städte bietet diesen neuen Zentren auch einen immensen Platzvorteil. Während in den Innenstädten der Parkraum sehr knapp und teuer zu bezahlen ist, ist er bei den Einkaufszentren in ausreichender Anzahl vorhanden und obendrein noch kostenfrei zu benutzen. Die Erreichbarkeit führt nicht nur zu Vorteilen für die Konsumenten, sondern auch für die Geschäfte selbst, da auch für die Anlieferung von Waren mittels größerer LKW genügend Raum vorhanden ist. Ein weiterer Grund für die starke Anziehungskraft der neuen Zentren liegt in der Vielfalt an Waren auf relativ kleinem Raum, speziell bei der Kombination von einem großem Supermarkt im Zusammenspiel mit mehreren Einzelhandelsgeschäften, oder eben bei den bereits oben erwähnten Malls. Diese Ballung von Angebot für die Kundschaft wird unterstützt durch die große Anzahl an Kunden, die für eine praktisch urbane Menschenmasse sorgt, die sich in dem Gebäude aufhält und damit dazu führt, dass das Zentrum noch mehr Leute anzieht. Sicherlich spielt zu einem geringen Maß auch der Schutz vor der, in unseren Breiten teilweise recht unkomfortablen, Witterung in den Einkaufsmärkten eine Rolle für deren Anziehungskraft. Während man in den Innenstädten bei Regen und schlechtem Wetter weitgehend ungeschützt seine Einkäufe tätigen muss, bieten die Einkaufszentren außer auf dem Weg vom schützenden Auto zum Eingang einen kompletten Witterungsschutz.


Alle Diese Gründe können, je nach Ausprägung der örtlichen Infrastruktur zu einer Schwächung der innerstädtischen, traditionellen Zentren führen. Die Schattenseiten der Einkaufszentren fallen dabei den meisten Benutzern kaum auf, bzw. kaum ins Gewicht. So ist natürlich der Flächenverbrauch sehr groß und die riesigen Parkplatzflächen sind nur zu einem Bruchteil des Tages genutzt und stehen ansonsten leer. Vom nachhaltigen Umgang mit Bauland aus gesehen sind diese Zentren also relativ Problematisch. Ein negativer Aspekt ist sicherlich auch der Verkehr, den diese Zentren zusammen mit einer flächenhaften Besiedlung der Landschaft verursachen. Durch die Fokussierung auf die individuelle Mobilität zusammen mit den verstreuten Zielpunkten der verschiedenen Zentren ist es kaum möglich den Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bündeln.


3. These:

Das Bild der Stadt und damit auch ihre Wahrnehmung hat sich durch die, oben bereits dargestellten, tiefgreifenden Umwälzungen in Sachen Mobilität und Konsum der vergangenen Jahrzehnte verändert.


Ausgangspunkt und bei vielen Menschen verbreitetes Wunschbild der Stadt ist die mittelalterliche Behälterstadt. Ihre klare Abgrenzung von Innen und Außen durch die steinerne Stadtmauer mit der klaren Kennzeichnung der Stadteingänge in Form der Stadttore war diese natürlich sehr einfach zu erkennen und damit für die Menschen einfach als schutzgebender Ort wahrnehmbar.


Das weiter oben, im ersten Abschnitt aufgezeigte Wachstum der Städte führte bedingt durch die Größenänderung der Städte und auch durch die Veränderung der Fortbewegungsmittel infolge der gesteigerten Mobilität zu einer Veränderung in der Wahrnehmung von Stadt. Anstatt ein zusammenhängendes, als gesamtes wahrnehmbares Stadtgefüge aus einem Guss wahrzunehmen, baut sich jeder Bewohner sein eigenes Bild aus Eindrücken zusammen, die er tagtäglich erfährt. Diese Eindrücke von unterschiedlichen Elementen können verschiedene Bilder der Umgebung formen, wie es Kevin Lynch in seinem Buch "Das Bild der Stadt" beschreibt. Dabei ist die Wahrnehmung der Stadt, oder des Stadtteils, in dem eine bestimmte Person wohnt, durchaus auch mit den Wahrnehmungen von anderen Bewohnern in Einklang zu bringen, Lynch weißt dies anhand seiner durchgeführten Befragungen nach. Dabei ist zu beachten, dass bei seinen Befragungen, wie er auch selbst anführt, fast nur Personen einer gewissen gesellschaftlichen Gruppe befragt wurden, und sich dadurch kein allgemeines, für alle Bewohner gültiges Stadtbild ergeben kann.


abb4

Die Hauptwahrnehmung einer Stadt erfolgt aus der Bewegung des Betrachters heraus. Durch die Änderung der Bewegungsgeschwindigkeit von zirka 5 km/h bei einem Fußgänger hin zu ungefähr 100 km/h bei einem Autofahrer auf einer Bundesstraße oder Autobahn verändert sich die nötige Sichtfenstergröße zur Wahrnehmung von charakteristischen Gegebenheiten. Erfahrbar werden solche Wahrnehmungsunterschiede beispielsweise bei der schmalen Gasse zwischen der Pfinztalstraße und dem Saumarkt in Durlach, die bedingt durch den schmalen Durchgang zwischen dem Rathaus und dem Nachbargebäude praktisch nur für Fußgänger zu erkennen ist. Bereits als Benutzer der relativ langsamen Straßenbahn fällt die enge Gasse, wenn überhaupt, dann nur noch dem aufmerksamen Betrachter auf.


Wie verändert sich also die Wahrnehmung bedingt durch die Benutzung von unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln? Zu Fuß bewegt man sich mit einer relativ geringen Geschwindigkeit, dadurch braucht man für eine bestimmte Wegstrecke relativ lange. Durch die langsame Bewegung hat man die Zeit, die Umgebung sehr genau, bis in kleine Details wahrzunehmen. Die täglichen Wege der unterschiedlichen Bewohner sind sehr individuell und bewegen sich in einem bestimmten relativ begrenzten Radius um die eigene Wohnung, der genau Wahrgenommen wird und detailliert beschrieben werden kann.


Bei der Fortbewegung mit der Bahn ist die Geschwindigkeit wesentlich höher, als zu Fuß, die Wahrnehmung reduziert sich im Genauigkeitsgrad auf markante Elemente der Stadt entlang der Strecke. Diese Strecke kann durch die Schienengebundenheit auch nicht, wie beim Auto variiert werden kann. Daraus ergibt sich eine vorgegebene Wahrnehmung, die sich durch regelmäßige Benutzung auf der gleichen Strecke immer wieder wiederholt und sich dadurch einprägt. Das passive gefahren werden in der Bahn erhöht die Beobachtungsmöglichkeit gegenüber dem Autofahren, dass eine höhere Konzentration erfordert.


Das Auto ermöglicht durch die individuelle Streckenwahl einen viel größeren Erlebnisraum innerhalb der Stadt. Bedingt durch die Geschwindigkeit ist die Wahrnehmung auch hier auf eine Mischung aus markanten Elementen der Stadt, die für alle Bewohner als solche zu erkennen sind und Elemente, die jeder persönlich beachtet reduziert. Durch die neue Struktur der Stadt und die differenzierten Bewegungsformen in der Stadtlandschaft, ohne feste, klar definierte Grenzen, wird es auch schwerer einen klaren Stadteingang festzulegen. Die historischen Stadttore sind zum Beispiel in Karlsruhe gänzlich verschwunden, bzw. zur zeichenhafte Skulpturen, wie am ehemaligen Ettlinger Tor ersetzt worden. Ihre Standorte liegen bedingt durch die Entwicklung der Stadt auch weit in deren Innern.


An die Stelle der Wahrnehmung des Stadteingangs in Form der Stadttore tritt für eine große Anzahl von Personen die Wahrnehmung der Stadt vom Auto aus.


Hierbei insbesondere die Wahrnehmung von den Hauptverkehrsstraßen aus. Bei diesen Bewegungsformen sind detaillierte Wahrnehmungen, durch die Geschwindigkeit kaum möglich, allerdings werden markante, zum Teil zeichenhafte Elemente einer Stadt durchaus wahrgenommen. Dies können markante Elemente in der umgebenden Landschaft sein, wie der Turmberg, oder die Michaeliskapelle, die man beide durch ihre exponierte Lage von der A5 aus wahrnimmt, letztere vor allem Nachts durch ihre Beleuchtung. Genauso orientiert man sich an auffallenden Gebäuden, wie dem Bosch Hochregallager, dem in der Abbildung zu sehenden, mittlerweile abgerissenen Gaskessel, oder den Hochhäusern Karlsruhes, die vor allem bei der Ankunft über die A8 von Pforzheim aus stark auffallen.


abb5 abb6_1 abb6_2

Aus den Bildbeispielen erkennt man die Konstanten, als auch die Veränderungen. Markante Zeichen und topografische Merkmale der Umgebung, wie die Hangkante ,der Turmberg bei Durlach, oder hohe Gebäude bleiben als Orientierungspunkte über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen. Manch markanter Punkt, wie der Gaskessel fallen weg und werden in der Wahrnehmung durch andere Objekte, z.B. das Hochregallager von Bosch an der Autobahn ersetzt. Ein wichtiges Kriterium für die Wirksamkeit einer Landmarke sind also deren Größe und ihre Lage. Je exponierter die Lage, desto kleiner kann der Orientierungspunkt werden, je näher an der Straße und je größer, desto einprägsamer wird ein Bauwerk.


Weiterhin spielt auch die Wahrnehmung bei Tag und bei Nacht ihre Rolle für die Wahrnehmung der Stadt, wie oben durch das Beispiel Michaeliskapelle gezeigt. Verschlechtert wird die Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit der Städte vor allem durch die Ansiedlung von bis auf die Firmenschilder weitgehend ähnlichen Gewerbegebieten entlang der Straßen und der Sichtbehinderung und Fokussierung mittels Schallschutzzäunen und Erdwällen, die bis auf weit entfernte markante Punkte viele charakteristische Orientierungshilfen ausblenden.


4. Zusammenfassung

Insgesamt gesehen muss man als Planer mit den Veränderungen, die durch die gesteigerte Mobilität und den ebenso gesteigerten Konsum hervorgerufen werden zurechtkommen und mit ihnen arbeiten. Es ist kaum hilfreich, das alte, in den Köpfen verankerte Bild einer Stadt anzustreben, deren gesellschaftliche und technologische Vorraussetzungen völlig anders gegenüber den jetzigen waren. Die neuen Zentren und die Gestaltung der Wahrnehmung der neuen Stadtlandschaft eröffnen ein weites Feld von Ansätzen, um diese zu beeinflussen.


5. Literaturliste

Hotzan, Jürgen: "dtv - Atlas Stadt", München, 1997


Krausse, Joachim; Lichtenstein, Claude: "Your Private Sky - R. Buckminster Fuller - Design als Kunst einer Wissenschaft", Zürich, 1999


Lorenz, H.: "Trassierung und Gestaltung von Straßen und Autobahnen", Wiesbaden/Berlin, 1971


Lynch, Kevin: "Die Wahrnehmung der Stadt", Braunschweig / Wiesbaden, Nachdruck 1998


Oertel, Dietrich: "Stadtlandschaftsgestaltung: Raum Karlsruhe", in "Mitteilungen des Baudezernats - Stadtplanung FNP 15", Karlsruhe, 1975


Sieverts, Thomas: "Zwischenstadt" Braunschweig/Wiesbaden, 1998